Ergebnissicherung der Berlin 21 Podiumsdiskussion zur urbanen Wärmewende


Auf dem Berliner Klimatag diskutierte Berlin 21 mit Vertreter:innen verschiedener Interessengruppen die Herausforderungen der urbanen Wärmewende. Diskutiert wurde, wo die Knackpunkte liegen und wie eine für alle tragbare Lösung aussehen könnte, damit die Zielsetzung des Berliner Senats - weitgehende Klimaneutralität bis 2045 (Reduktionsminderungsziel 95% ggü. 1990) - auch im Bereich des schon vorhandenen Gebäudebestandes erreicht werden kann. Der Weg dorthin soll durch das Energiewendegesetz und zielgenaue Maßnahmen des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms und andere begleitende Maßnahmen ermöglicht werden.

Berlin steht vor einer gewaltigen Aufgabe: Auf der einen Seite muss Wärme für den Gebäudesektor möglichst schnell CO2-frei zur Verfügung stehen, auf der anderen Seite muss die Menge an zu nutzender Wärmeenergie massiv reduziert werden, indem der Gebäudebestand energetisch qualifiziert wird. Beides muss Hand in Hand gehen und dazu führen, dass am Ende viel weniger Energie für Raumwärme und Warmwasser aufgewandt werden muss.

  • Ist das zu schaffen, in den etwas mehr als 20 Jahren, bis Berlin weitgehend klimaneutral werden muss?
  • Wie können Wege gefunden werden, die Mieter und Vermieter in einer gerechten Verteilung der entstehenden Kosten auf diesem Weg in die Klimaneutralität mitnehmen?

Es diskutierten:

  • Tilmann Heuser, Geschäftsführer BUND Landesverband Berlin
  • Sebastian Bartels, Stv. Geschäftsführer BERLINER MIETERVEREIN
  • Julia Dahlhaus, Vorsitzende Bund deutscher Architekten, Landesverband Berlin

Moderation:

  • Sebastian Stragies, Vorstand Berlin 21 e.V.

 

Ergebnissicherung “Podiumsdiskussion zur urbanen Wärmewende”
 

  • Bewegen sich schon alle Akteure in die notwendige Richtung, die für eine massive und schnelle Senkung der CO2-Emissionen im Berliner Wohnungsbestand angezeigt ist?

Für Sebastian Bartels (Berliner Mieterbund) bewegt sich noch sehr wenig in die richtige Richtung, da die Verfahren zur Sanierung kompliziert und lästig sind. Sie bringen Mieterhöhungen, und die Betroffenen können sich nicht am Verfahren beteiligen. Sie müssen sogar die Duldung erklären und am Ende mehr Miete zahlen. Möglichkeiten zur Mietminderung gibt es erst nach 6 Monaten Sanierungszeit. Aus Mietersicht ist dies ein Irrwitz, ein Überfall. Oft sind die Heizkosteneinsparungen am Ende sehr gering. Vermieter haben wenig Interesse, Förderungen in Anspruch zu nehmen, weil sie die Kosten ja weiterreichen können. Die Kostenumlage erhöht sich außerdem dauerhaft um 8% und bleibt auch, nachdem die Kosten der Sanierung wieder drin sind.

Für Julia Dahlhaus, (Bund deutscher Architekten, Landesverband Berlin) steht fest, dass wir eigentlich viel schneller sein müssen und in den kommenden Jahren eine neue Dynamik bei der Sanierung des Bestandes brauchen. In Bezug auf die gestiegene Sensibilität des Berufsstandes sind wir aber schon in der notwendigen Richtung auf dem Weg und auch bei den Bauherren steigt die Sensibilität. Beim Blick auf die Kosten ist aber noch viel Kreativität gefragt, damit energetische Sanierungen im Bestand nicht zu Kostenfallen für Eigentümer und Mieter werden. Auch stehen das Baurecht und langfristige Verfahren dem Fortschritt im Weg.

Für Tilmann Heuser (BUND, Landesverband Berlin) sind vor allem die 95% Bestandswohnungen in Berlin wichtig. Bei allen Gesprächspartnern ist der Wille da, unbedingt klimaneutral zu werden, aber bei der Umsetzung wird es kompliziert. Problem: Klimaneutralität bei Bestandswohnungen und Bezahlbarkeit kommen nicht zusammen! Auch fehlt ein echtes stringentes Konzept für den Umgang mit dem Wohnungsbestand. Stattdessen gibt es in der Berliner Politik eine massive Fokussierung auf 20.000 neue Wohnungen im Jahr. Da aber ist die Umsetzung von Maßnahmen für die Klimaneutralität ausreichend. Um die geht es eben nicht primär.

  • Wie kann es gelingen, eine möglichst warmmietenneutrale Sanierung im Bestand zu erreichen?

Angesprochen wurde eine warmmietenneutrale Sanierung, um Kosten gering zu halten. Sie ist als neues Modell auch im Koalitionsvertrag von 2021 verankert und soll die Modernisierungsumlage ablösen, aber die Ausgestaltung ist noch unklar.

Für Julia Dahlhaus wurde der Hauptfokus in den letzten Jahrzehnten nur auf die Primärenergie gelegt, auch bei den gesetzlichen Vorschriften. Die Gesamtbausubstanz wurde dagegen nicht berechnet. Das hatte den Effekt, dass es Billigplanungen gab und Billigmaterialien verwendet wurden. Auch werden in Berlin immer noch 60er-Jahre-Bauten abgerissen, mit dem Argument: "rechnet sich nicht." Nicht eingerechnet wird dabei die graue Energie, die aber von der Klimabilanz her ein wichtiger Faktor wäre. Die graue Energie müsste bei jeder Sanierung und bei jedem Abriss mitberechnet werden.

Für Tilmann Heuser ist klar, dass es Klimaneutralität nicht gratis geben wird, und daraus sind mehrere Konflikte entstanden. Bisher wurden die Folgekosten externalisiert. Zwar wurden Preissteigerungen lange vorhergesagt, aber immer wieder verschoben. Jetzt ist eine energetische Sanierung auch erst mal teuer. Das Ziel der Warmmietenneutralität ist nicht überall möglich umzusetzen. Die neuen Energiekosten überraschen tatsächlich alle und sind ein großes Problem. Der Handlungsdruck ist in letzter Zeit noch viel größer geworden. Sowohl die Akteure der kommunalen Wohnungsbauunternehmen, private Vermieter:innen wie auch Mieter:innen.müssen jetzt neu und gemeinsam überlegen. Dafür braucht man Aushandlungsprozesse und muss gezielte Handlungsstrategien und Lösungen entwickeln.

Für Sebastian Bartels ist klar, dass es ohne Ordnungsrecht nicht geht, wenn wir die notwendigen Sanierungsraten von 3-5% pro Jahr erreichen wollen. Es muss über das Ordnungsrecht vorgegeben werden, dass bei schlechten Energieklassen modernisiert werden muss. Dafür müssen dann aber auch massive Förderungen geschaffen werden, auch für kleinere Maßnahmen. Eine EU-Richtlinie dazu ist in der Abstimmung.

  • Wie kann der Gebäudesektor zum Motor der Energieeffizienz werden?

Dazu wurden unterschiedliche Instrumente genannt, teilweise mit unterschiedlicher Einschätzung:
- Fachkräftemangel: Fachkräfte sind ein limitierender Faktor. Wir brauchen Fachkräfte. Die Frage ist daher, wie kann man die Motivation stärken, sodass Menschen als Fachkräfte arbeiten?
Gegenmeinung: Der Fachkräftemangel ist eher vorgeschoben.
- Aufstockung von Gebäuden als Mittel, die Zahl der Wohnungen zu erhöhen, ohne mehr Platz zu verbrauchen.
Gegenmeinung: Auch die Aufstockung ist nicht trivial, und immer individuell verschieden, geht nicht immer gut.
- Mehr Innovation: Wie wird sie in einem Bereich mit vielen Normen möglich? Entscheidend ist der politische Wille. Zum Beispiel geht Brandschutz immer über alles, schafft aber unglaublich viele Missstände im Wohnungsbau.
- Anreize beim Neubau: Baugesellschaften müssen mehr Anreize zum ökologischen Bauen bekommen. Beispiel München: Wer ökologisch baut, darf zum Beispiel höher bauen.
- Mehr Solarstromnutzung: In Bezug auf Solarstrom geht nun einiges vorwärts, nachdem die Dynamik 15 Jahre hatte auf sich warten lassen: Die Dächer in Berlin haben z.B. noch ein großes Potenzial, und das neue Berliner Energiewendegesetz verpflichtet Eigentümer:innen, die ein Dach sanieren müssen, zum Einbau einer Solaranlage. Ein positives Beispiel. Probleme gibt es dagegen noch beim Mieterstrom, wegen vieler rechtlicher Hindernisse, die noch immer bestehen. Auch ein Solarpanel selber aufzuhängen, müsste eigentlich ganz einfach möglich sein.

  • Wo stehen wir in 5 Jahren? (Schaffen wir dann die 3, 4 oder 5% Sanierungsquote?)

Für Sebastian Bartels wird es ohne neue gesetzliche Instrumente vom Bund nicht gehen, soll die Dynamik bei der Sanierungsquote substantiell erhöht werden, um Klimaschutzziele einzuhalten. Er empfiehlt eine Teilwarmmiete. Außerdem werden mehr Fördermittel, auch für kleinere Projekte, gebraucht. Die Grundlagen dafür müssen schnellstens geschaffen werden. Für 2027 wünscht sich Bartels mindestens eine Sanierungsquote von 3%, wobei die Kosten eben gerecht aufgeteilt werden müssen und den Mietern mehr Mitsprache bei anstehenden Sanierungen eingeräumt werden muss.

Für Tilmann Heuser ist die wichtigste Frage, was wir schaffen müssen. Es muss geprüft werden, wo man am meisten erreichen kann. Es gibt durchaus verschiedene Konflikte, auch mit Umweltschützern, zum Beispiel bei der Windkraft. Diese muss man offen ansprechen und dann konkrete Handlungskonzepte entwickeln. Ohnehin werden von Politikern immer wieder der Polizist und die Krankenschwester zur Illustrierung der Probleme herangezogen. Aber dann soll man auch mit ihnen reden! Letztlich muss das Ziel der Suffizienz, also: gut leben, statt viel haben, diskutiert werden! Heuser geht für 2027 von einer Sanierungsquote von 4-5% aus, da die derzeitigen Preissignale auch starke Handlungsimpulse setzen werden.

Für Julia Dahlhaus ist der Blick auf die Sanierung von Dächern nun positiver, da hier mit der Solarpflicht bei grundlegender Dachsanierung ein wichtiger Schritt vollzogen wurde, der zumindest in diesem Bereich eine Dynamik entfachen wird. Für 2027 hält Dahlhaus eine Sanierungsquote von 3,5% für durchaus realistisch.

  • Wie lässt sich Energie auch in unsanierten Bestandsgebäuden einsparen?

Mit der novellierten Heizkostenverordnung ist vorgeschrieben, dass Vermieter über den Verbrauch aufklären müssen, aber die Sorge ist, dass diese Informationen nicht ausreichen, um das Wärmeverhalten tatsächlich sparsamer zu machen. Zusätzlich muss es echte Beratungsangebote geben. Fortbildungen und die Ausbildung von Fachpersonal für die Informationen und Beratungen müssen schnell und dauerhaft ausgeweitet werden - Bildungsarbeit und Aufklärungen müssen aufsuchend sein und Menschen vor Ort direkt in ihren Wohnungen erreichen. Gekippte Fenster sollten zum Einzelthema für eine Kampagne in Berlin werden. Hier liegen beträchtliche Einsparmöglichkeiten.

  • Wird die Digitalisierung für das Energiesparen in Bestandsgebäuden eine Rolle spielen?

Die Digitalisierung spielt eine zunehmend wichtige Rolle. Thermostatventile sind ein Beispiel dafür, mit zunehmend ausgefeilter Technik bis hin zum Smart Home. Allerdings ist nicht jeder in der Lage, das kompetent zu steuern. Man muss also Lösungen schaffen, die von vielen Menschen genutzt werden können.

  • Welche Wege geht Berlin, um auch im Bereich der Wärmeerzeugung schnell und dauerhaft aus der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen?

Für Tilmann Häuser ist klar, dass Berlin auf dem Weg raus aus Öl, Kohle, Gas und Müllverbrennung ist. Die Energiepreise werden das beschleunigen. Bei der Umsetzung sind die Bestandsgebäude problematisch, weniger die Neubauten, in denen mittlerweile Flächenheizungen und Wärmepumpen eingebaut werden. In Altbaubauwohnungen mit Parkettböden ist das aber nicht möglich. Pelletheizungen als Alternative sind nicht unendlich.

Julia Dahlhaus verweist auf den noch hohen Einsatz von 49% Gas bei der Erzeugung von Fernwärme in Berlin hin.

Sebastian Bartels spricht sich dafür aus, innerhalb der nächsten 2 bis 3 Jahre den Einbau von Öl- und Gasheizungen strikt zu verbieten.

  • Wird in Berlin das Potential der oberflächennahen und der tiefen Geothermie noch zu wenig beachtet?

Ein Zuhörer hob die Potenziale von Geothermie als Energiequelle für Berlin hervor. Sie würden zu wenig beachtet und zu undifferenziert diskutiert, auch im Hinblick auf die noch bestehenden Probleme. So muss klar zwischen oberflächennaher und tiefer Geothermie unterschieden werden. Oberflächennahe Geothermie kann die Abgabe von Wärme im Winter mit der Kühlung im Sommer verknüpfen. In Berlin gibt es dazu bereits verschiedene Projekte. Allerdings sind sie sehr aufwändig und verursachen hohe Kosten. Deshalb würden sich übergreifende Geothermie- Projekte auf der übergeordneten Quartiersebene anbieten. Sie scheitern aber, weil man grundstücksbezogen denken muss. Um diese Hemmnisse aus dem Weg zu räumen, sollte die Vorgehensweise wieder aufgegriffen werden, die früher bei quartiersweiten Projekten mit Blockheizkraftwerken gewählt wurde. Dies sollte von entsprechenden Förderprogrammen unterstützt werden. Geothermie sollte als Thema für Berlin stadtweit öffentlich diskutiert werden, denn das Thema ist mit Konflikten behaftet, etwa aus der Sicht von Umweltschützern.
Wichtig ist bei solchen Vorhaben auch, dass Mieter eingebunden werden. Weil die Mitbestimmung für Mieter allerdings noch verbesserungsbedürftig, bei privaten Wohnungsbaugesellschaften kaum vorhanden ist, muss man offensiv in die Kommunikation gehen und diese Mitbestimmung einfordern. Sollte man hier die notwendige Akzeptanz in der Stadt erreichen, könnte Berlin zum Vorreiter werden.

Tilmann Heuser hob zum Abschluss noch einmal hervor, dass die Umsetzung - also das konkrete Handeln - jetzt das Wichtigste ist. Auch wurde nochmals darauf hingewiesen, dass in Berlin eine grundsätzliche Vision für die fossilfreie Wärmeversorgung noch fehlt. Aber diese Diskussion sei jetzt notwendig! Dabei solle es allerdings nicht mehr um die Konzeption generell gehen, sondern um die Umsetzung. Und dabei müssen alle Möglichkeiten nebeneinander gestellt und besprochen werden. Zusätzlich müssen Chancen für unterschiedliche Ansätze geschaffen werden, denn auch das Ausprobieren sei wichtig.

 

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